Einleitung


Computer- und Videospiele, vor 20 Jahren noch eine Randerscheinung, sind heutzutage fester Bestandteil der Unterhaltungskultur hoch technisierter Länder. Der Umsatz mit Unterhaltungssoftware in den USA stieg 2002 auf 6,9 Milliarden US$, die Hälfte aller Amerikaner spielt gelegentlich oder regelmäßig, 37% der regelmäßigen Spieler dabei auch online [CyberAtlas]. In asiatischen Ländern werden einzelne Titel in Auflagen von bis zu 2 Millionen auf den Markt gebracht und bringen gelegentlich gar das öffentliche Leben zum Erliegen. So spielen sich bei Erscheinen jedes neuen Teils der Saga Final Fantasy vor japanischen Geschäften tumultartige Szenen ab und erst kürzlich beschränkte die thailändische Regierung die Laufzeit aller Game-Server im Land auf 6-22 Uhr, um der ausufernden nächtlichen Streifzüge zahlloser Jugendlicher unter den 600.000 registrierten Teilnehmer des Online-Rollenspiels Ragnarök Herr zu werden [BBC]. In Deutschland betrug der Umsatz mit Spielen und Edutainment-Software im letzten Jahr 1,4 Milliarden € [VDU] und lag damit deutlich über dem der Kinobranche. Einer aktuellen Studie [heise:NielNet] zufolge verdoppelte sich die Zahl der europäischen Nutzer von Onlinegaming-Seiten binnen eines Jahres auf fast 6 Millionen Anfang 2003, wobei Deutschland und Frankreich mit jeweils 1,5 Millionen sowie Großbritannien und die Niederlande mit je einer weiteren Million den Löwenanteil ausmachen. Es ist angesichts dieser Daten offensichtlich, dass sich Gaming im Allgemeinen und Onlinegaming im Speziellen zu einem schnell wachsenden Massenmarkt entwickelt haben.

Während allerdings ein Zusammenhang zwischen technischer Ausstattung der Bevölkerung mit PCs, Konsolen und flächendeckend verfügbaren Breitband-Anschlüssen auf der einen und dem Konsum von Unterhaltungssoftware auf der anderen Seite relativ klar erkennbar ist, ergibt sich im Bereich der Produktion ein anderes Bild. Die Mehrheit der Spiele wird in den Games Studios der Unterhaltungs-Weltmacht USA hergestellt, was zunächst einmal keine größere Überraschung darstellt. Betrachtet man jedoch nur die Zahl der in Europa produzierten Titel, ist auffällig, dass zwei Drittel [UniHull] davon aus dem UK stammen. In ganz Deutschland hingegen existiert nur eine Handvoll Studios von internationalem Rang, wovon wiederum die Mehrzahl ausländischen Firmengruppen zugehörig ist, wie z. B. Blue Byte (zur französischen Ubi Soft) oder Massive Development (zur österreichischen JoWooD-Gruppe). Die wenigen unabhängigen deutschen Studios, die sich fest etabliert haben, darunter Sunflowers mit der im nationalen Rahmen überaus populären Anno-Reihe oder auch Spellbound mit dem Überraschungserfolg Robin Hood, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier dringender Nachholbedarf besteht. Die Bundesrepublik, als europäischer Spitzenreiter im Konsum von Computerspielen, ist in punkto Spieleproduktion ein Zwergstaat und was Online-Spiele betrifft, auf der Landkarte quasi nicht existent.

Bei der Suche nach den Gründen für diese Diskrepanz stößt man schnell auf eine Vielzahl möglicher Ursachen: das generell verhaltene Investitionsklima hierzulande (die Produktion eines Top-Titels verschlingt leicht mehrere Millionen € an Risikokapital), die Fokussierung vieler Hersteller auf das Genre der Aufbauspiele, welche eine typisch deutsche Vorliebe darstellen und dadurch international meist nur begrenzt erfolgreich sind oder auch die unzureichende staatliche Förderung dieses Wirtschaftszweiges im Gegensatz zu Ländern wie Frankreich sind nur einige davon [golem:Limpach].

Eine der Hauptursachen allerdings dürfte die spezielle Art der öffentlichen Wahrnehmung von Spielen in Deutschland sein. Von wenigen Ausnahmen (wie der Resonanz auf die neu etablierte Spielemesse "Games Convention" in Leipzig) abgesehen, dreht sich, wann immer hierzulande in Politik oder Massenmedien von Online-Spielen die Rede ist, die Diskussion nur um ein Thema: Gewaltdarstellung und Jugendschutz. Ob pro oder kontra, ob Jugendschützer oder Spieler, der ständige Rechtfertigungsdruck und die Verengung der Betrachtung auf diesen einen Aspekt des Gamings sind allgegenwärtig. Haben populistische Forderungen nach einem "Totalverbot von Killerspielen" als unwürdiges Nachspiel des Massakers von Erfurt die Situation auch zusätzlich verkompliziert, so gibt es noch einen weiteren, ganz anders gelagerten Grund dafür: überwiegend wird Gaming in Deutschland schlichtweg nicht für voll genommen. Während in angelsächsischen und asiatischen Ländern die Videospielkultur nämlich Teil des Alltags ist und wie selbstverständlich den technologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen der Spieleproduktion auch in Ausbildungsbelangen Rechnung getragen wird, haftet dem Spielen in Deutschland der Ruch des Unseriösen an. "Spiel" wird hier immer noch gern mit "Spielerei" respektive mangelnder Ernsthaftigkeit gleichgesetzt - während in Nordamerika und Großbritannien akademische Grade wie "B. A. in Games Design" [UniLanc] oder "M. Sc. in Computer Games Technology" [UniLiv] schon längst zum Standard gehören.



Ziel dieser Arbeit ist es, einige aus wissenschaftlicher Sicht interessante, grundlegende Kernbereiche des Onlinegamings einzugrenzen, zu analysieren und eine kompakte Gesamtdarstellung vorzunehmen. Das Resultat soll dazu beitragen, Ansatzpunkte für die dringend erforderliche interdisziplinäre Betrachtung des Themenkomplexes zu finden und eine Grundlage für weitere diesbezügliche Studien im Bereich der Informatik, Psychologie, Soziologie und Medienwissenschaften jenseits des eingangs erläuterten Tunnelblicks bilden.

Der deskriptive Abschnitt beinhaltet dabei die Erläuterung populärer Spielkonzepte und der zu ihrem Verständnis notwendigen Terminologie, desweiteren wird auf den technologischen Unterbau der Spiele und seine potentiellen Berührpunkte mit aktuellen Forschungsfragen eingegangen. Der explorative Teil befasst sich mit den Spielern, ihrer Motivation und ihren Organisationsstrukturen, insbesondere den sogenannten Clans, welche das Rückgrat der Szene darstellen. Dabei sollen explizit folgende Fragen geklärt werden:
  • Wer spielt?
  • Was wird gespielt?
  • Warum wird gespielt?
  • Wie sind die Spieler organisiert?
Zu diesem Zweck wurde eine Online-Umfrage unter mehr als 12.000 deutschsprachigen Gamern durchgeführt, deren Ergebnisse zum einen die Dokumentation des deskriptiven Teils der Studie unterstützen und zum anderen die Beantwortung obengenannter Fragestellungen ermöglichen.


Inhaltsverzeichnis
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